Gerhard Tersteegens Anweisungen zur Gotteserfahrung
Es muss des Menschen Herz doch etwas Großes sein:
Gott, Teufel, Welt und Lust und alles will hinein.
Erwähle, lieber Freund, dir doch den besten Gast:
Hast du ihn gut gewählt, dann halte, was du hast!
Willst du Gott wesentlich mit Geistesaugen sehen,
so schau auf ihn allein, so wird es bald geschehen!
Du siehst bald dies, bald das, du bist bald hier, bald da;
die Gottheit ist nur eins und dir im Grunde nah.
Du rufst nach Gott so oft und läufst doch immer raus;
wenn er dich nun besucht, dann bist du nicht zu Haus.
Gott zur Seele:
O Seele, lass dein Sorgen,
dies ist nur meine Pflicht;
sorgst du, dann sorg' ich nicht!
Bleib du in mir geborgen,
in meinen Schoß dich senk
und an dich selbst nicht denk!
In Werken und in Worten; Sanft, lieblich aller Orten
sollst du bei Menschen sein; doch musst du stets daneben
an Gott in Grunde kleben, als wenn du wärst allein.
Senk dich ins stille Nun, den göttlich'n Augenblick,
sanft, lieblich und gedenk nicht vorwärts noch zurück!
So überlass dich Gott, dich innig in ihn neige
und warte in Geduld, bis er sich selbst dir zeige!
Wie süß ist's wenn Gedanken, Glieder, Sinnen,
Affekte, Wille und Begierden stille sind,
wenn alles schweigt von außen und von innen
und man im heitern Grund Gott gegenwärtig find't!
Man sucht und findet nicht, doch ist der Schatz so nah;
was läufst du viel herum? Er ist im Herzen ja.
Verkauf nur, was du hast, und geh in dich hinein,
so wird der beste Schatz, Gott selber, deiner sein!
Gott ist so reich und will doch meine Gaben;
er gibt sich ganz — soll ich dann sparsam sein?
Mein Liebstes und mein Bestes soll er haben,
mein ganzes Herz soll ihm gegeben sein.
Wenn man dich hasst, wenn man dich liebt,
wenn man dir nimmt, wenn man dir gibt,
wenn man dich schilt, wenn man dich ehrt,
und was dir sonst auch widerfährt:
Bleib ungestört und abgeschieden
in deinem Grund bei Gott zufrieden!
Gott wohnet außer Ort und Zeit,
von Kreatur und Sinnen weit,
still in sich selbst, in sanftem Frieden.
Willst du ihn schauen, frommer Christ,
so musst du kommen, wo er ist,
und werden auch so abgeschieden.
Nimm in der Kreatur nicht Lust, nicht Trost, noch Leben,
so wird es dir von Gott im Seelengrund gegeben.
Du musst des Herzens Kämmerlein
von fremden Bildern halten rein;
lass alles draußen stehen!
Gott sieht es gerne bloß und leer
und unbekümmert, so wird er
sich bald drin lassen sehen.
Was draußen ist, dass draußen stehn,
es kann nur Unruh geben!
Im Geist allein mit Gott umgehn,
bringt Ruhe, Freud und Leben.
Bald willst du dies, bald jenes haben,
und immer unvergnügt du bist;
der hat den Geber mit den Gaben,
wer völlig Gott ergeben ist.
Gott schmecket gut und süß; mach deinen Mund nur leer!
Wer ihn will schmecken recht, muss sonst nichts schmecken mehr.
In allem Tun schau nur auf Gott allein
und denke nicht, ob's andern wird gefallen,
sonst kehrst du aus, sonst bleibt dein Werk nicht rein;
im Einfaltsgrund nur innig bleib in allem!
Wer gerne reich und selig wär,
halt' seinen Geist stets arm und leer
von Lust und Liebe aller Dingen.
Sink in dein tiefes Nichts hinein,
dein Heil und Gut sei Gott allein,
dies wird den Himmel in dich bringen.
An allem, was du hast, musst du so wenig kleben,
dass du im Augenblick es ruhig weg kannst geben;
was Gott nicht selber ist, das sei dir alles gleich,
glaub's, solch ein armer Mensch besitzt ein Himmelreich.
Des Menschen Auge sucht und liebt bald dies, bald jenes,
bald hier was Neues ist, bald sieht er da was Schönes,
er spielt mit Puppenzeug, weil er nichts Bess'res hat.
Ach Armer, hättest du Gott selbst in dir gefunden,
Ich weiss, dies schönste Gut hielt Herz und Sinn gebunden,
dein Vorwitz wär gestillt, dein lüsternd Auge satt!
Du musst dich nicht zu sehr an Form und Weisen binden,
man suchet Gott nicht stets, man muss ihn ja auch finden;
wer noch im Suchen ist, der läuft und wirket viel,
wer ihn gefunden hat, genießet und ist still.
Gott teilt Geschenke aus; wer reich ist, soll nichts haben,
ein armer Bettelmensch kriegt Gott und seine Gaben.
Wohl dem, dem diese Welt ist wie ein fremdes Land,
der klein und stille lebt, veracht't und unbekannt,
der nur von Gott allein Gunst, Trost und Lob begehret,
der, allem fremd und tot, in Gott lebt eingekehret!
Wer viel begehrt, wird viel gestört,
wer gar nichts will, bleibt immer still.
In Trost und Freuden, in Furcht und Leiden
bleib abgeschieden in Gottes Frieden!
Wer allen stets gefallen will,
ist ausgekehrt und nimmer still
und kann Gott nicht behagen.
Ich bin nur meines Gottes Knecht,
kann ich es ihm nur machen recht,
so mögen Menschen klagen.
Nur Gott allein ist g'nug; wer etwas mehr begehrt,
das allvergnügend Gut verleugnet und entehrt.
Wen Schaden und Verlust der Dinge noch betrübt,
der hat sie nicht in Gott besessen und geliebt.
Die beste Tugendschul ist selbst dein Seelengrund.
Wenn alles schweigt in dir und du dich drein wirst senken,
dann lehrt die Weisheit dich mit ihrem eignen Mund
und alle Tugenden wird sie dir willig schenken.